Der Kreis schliesst sich; die letzte Etappe von Ricardas und meiner Reise hiess nämlich wieder Hanoi. Ohne Jetlag ist die sehr geschäftige Stadt einiges besser zu erkunden, wobei auch hier der ein oder andere Zufluchtsort zur wichtigen Energiegewinnung beitrug.
Und dieser Zufluchtsort hiess - nebst unserem sehr gemütlichen Hotelzimmer - Bookworm. Das Buchkaffe lag direkt gegenüber von unserem Hotel und gewann bereits durch seinen Namen unsere Herzen. Das Eintreten in den Laden kam dabei einem Eintritt in eine andere Welt gleich; die ruhige Atmosphäre innen stand in heftigem Kontrast zum lauten Aussen. Kein Wunder, wurde die Oase in unseren fünf letzten gemeinsamen Tagen zu einem Standardprogramm. Egal zu welcher Tageszeit, Ricarda und ich suchten den Bookworm täglich (manchmal sogar mehrmals täglich) auf und versanken bei einem guten Kaffee in der Bücherwelt.
Mir hatte es ein Buch über die vietnamesische Kultur angetan, bei welchem ich etwas besser zu verstehen versuchte, warum Vietnam heute ist, wie es ist. Zu Beginn des Buches wurde hervorgehoben, dass die Vietnamesen keine Chinesen sind, es nie waren und es auch nicht sein werden. Die Abgrenzung zum grossen Nachbar im Norden scheint also durchaus wichtig zu sein.
Historischer und kultureller Kontext
Da wir bei unserem ersten Besuch in Hanoi den Besuch der verschiedenen Museen verpassten, holten wir diesen Programmpunkt bei unserem zweiten Besuch nach. Als erstes führten wir uns den Literaturtempel (Văn Miếu-Quốc) zu Gemüte. Der Gebäudekomplex mit eigenem Garten wurde 1070 erbaut und war die erste Uni, respektive Akademie, Vietnams. Ursprünglich beschäftigte man sich hauptsächlich mit der konfuzianischen Lehre, wobei das thematische Lernprogramm über die Jahre ausgebaut wurde. Zu Beginn waren nur männliche Studenten zugelassen, die ein ziemlich strenges Programm durchlaufen mussten, bei denen es immer wieder Prüfungen gab. Ein lustiger Fakt bei der Sache war die Info, dass Studenten, die zu schlecht für die Uni waren, Grenzbeamte wurden ... eine besonders grosse Achtung vor den Zollbeamten gab es also früher nicht.
Ein weiterer Programmpunkt war der Besuch des Nationalmuseums der Geschichte, zu welchem auch das Museum der Revolution gehört. In ersterem wurden wir leider etwas enttäuscht: Es gab sehr viele Artefakte, die von den frühesten menschlichen Überresten aus ganz Vietnam, bis hin zu kriegerischen Zeitzeugen reichten. Faszinierend fand ich die alten Schriften - Bücher oder Dokumente - denen man ihr Alter zwar eindeutig ansah, die jedoch auch durch die Vitrine hindurch so greifbar aussahen, dass mich der Gedanke fesselte, dass genau dieses Papier vor hundert oder mehr Jahren in den Händen einer längst verschiedenen Person lagen.
Ganz allgemein fehlte, gerade für ausländische Besucher wie uns, etwas der Kontext zwischen den geschichtlichen Ereignissen. Ricarda und ich hätten gerne mehr über die Zusammenhänge erfahren, die die Chinesen, Franzosen oder auch Inder nach Vietnam verschlugen. Auch die unterschiedlichen Machtkämpfe innerhalb Vietnams hätten uns sehr interessiert. All diese Ereignisse wurden zwar erwähnt, jedoch war es für uns nie ganz schlüssig, wie die Ereignisse zustande kamen. Zum Beispiel wurde plötzlich geschrieben, dass die Chinesen vom Norden ins Land einfielen und es zu einem Kampf kam. Genauere Erklärungen zum Kampf oder zu den politischen Folgen gab es jedoch nicht. Die Ausstellung war für uns somit zwar spannend, jedoch nicht so informativ, wie wir das gerne gehabt hätten. Dasselbe galt für das Revolutionsmuseum: Die meisten Informationen waren Bilder von Menschen, bei denen eine Bildunterschrift den Namen der Person sowie ihre Position nannte. Auch wurden viele Gegenstände ausgestellt, die wichtigen Personen der vietnamesischen Geschichte gehörten. Zum Beispiel ein Kerzenhalter.
Gemütliche Stunden und etwas Einkaufstourismus
Zwischen Bookworm und Museen durfte in den letzten Tagen natürlich auch das obligate Tourismusshopping nicht fehlen. Die verschiedenen Läden in der Einkaufsstrasse verleiteten mich aber auch Ricarda zum ein oder anderen Schnäppchen; da Vietnam über eigenen Kaffee verfügt, durfte der Kauf von Kaffeebohnen natürlich nicht fehlen. Auch entdeckten wir einen lokalen Laden, der selbst gemalte Plakate von lokalen Künstlern verkaufte und der uns sehr gut gefiel. Natürlich kam auch die kulinarische Lust in den letzten Tagen nicht zu kurz - da Hanoi vor allem für mich die letzte Station der Ferien war, wollte ich das lokale Essen nochmals in ganzen Zügen geniessen.
Etwas ganz anderes
Nach drei Wochen eintauchen in eine komplett neue Kultur, endet für mich das Abenteuer Südostasien - fürs Erste. Ricarda wird noch zwei Wochen anhängen und dann im Januar in die Schweiz zurückreisen. Für mich war es unglaublich faszinierend, die Kulturen Vietnams und Laos' kennenzulernen und somit einen Kontrast zu meinem geliebten Lateinamerika zu erhalten. Was mich positiv überrascht hat war der Punkt Sicherheit: Aus Lateinamerika bin ich es mir gewöhnt, stets mit etwas Skepsis unterwegs zu sein. Auch in Vietnam und Laos hatte ich diese eingeübte Attitude oft an den Tag gelegt, um dann aber zu merken, dass die Länder anders funktionieren. Ricarda und ich konnten auch Abends problemlos zu zweit durch die Gassen laufen, ohne uns unsicher zu fühlen. Und auch das Benutzen der Nachtbusse scheint zumindest in Vietnam überhaupt kein Problem zu sein.
Andererseits muss ich sagen, dass ich die Herzlichkeit Lateinamerikas nicht selten vermisst habe. Auf den ersten Blick scheinen die Vietnamesen als auch die Laoten zwar sehr freundlich, auf den zweiten Blick wusste man aber gerade bei den Vietnamesen nicht, ob sie nicht gerade hinter dem Rücken über einen reden. Amüsant für uns Schweizerinnen war natürlich vor allem der Verkehr: Wo in der Schweiz schon längst die Polizei intensive Notizen auf dem Strafzettel machen würden, ist in Vietnam und Laos noch nicht einmal von "abnormal" die Rede. Einhändig fahrende Frauen auf dem Motorrad mit einem eingewickelten Kleinkind auf dem Arm, ein Familienvater mit zwei Kindern und der Frau und einer Pflanze auf dem Töff, oder das Rotlicht der Ampel, das irgendwie niemanden interessiert - Vietnam und Laos haben ein anderes Verständnis von Verkehr. Ein Abstecher in den ersten Stock eines Eckkaffees in Hanoi ist also durchaus empfehlenswert; denn von oben lässt sich der Verkehr am besten beobachten. In einem Tagtraum nachhangend auf dem Trottoir entlang zu schlendern ist übrigens gerade in Hanoi nicht empfehlenswert. Denn bei einem solchen Tagtraum wurde ich tatsächlich fast von einem Motorrad überfahren, der mit vollem Tempo von der Strasse auf das Trottoir fuhr. Während ich einen halben Herzinfarkt erlitt, würdigte mich der Motorradfahrer keines Blickes - verkehrte Welt.
Alles in Allem fällt das Fazit meiner (unserer) Ferien sehr positiv aus. Eine neue Kultur bedeutet, sich auf neue Dinge einzulassen und sich auch etwas in Flexibilität zu üben. Die Indirektheit der Vietnamesen und Laoten, die wohl einerseits auf die kommunistische aber auch auf die konfuzianische Prägung zurückzuführen ist, kann schon mal eine Herausforderung sein. Direkte Antworten oder klare Informationen zu erhalten, ist nervenaufreibend. Wenn ihr also mal plant, nach Südostasien zu gehen, stellt euch darauf ein, eure Fragen anders zu formulieren und euch nicht immer auf die Antwort zu verlassen, die ihr erhaltet. Denn ein Ja fällt den Vietnamesen und Laoten einfacher, als ein Nein. Auch wenn das Nein möglicherweise die richtige Antwort wäre.
Es war wieder super spannend, deine Reise aus der Ferne mitzuverfolgen. Herzlichen Dank für die spannenden Einblicke!
AntwortenLöschenImmer wieder gerne :-)
LöschenZwei Fragen habe ich noch: die erste geht an die Linguistin: ist es richtig, dass die vietnamesische und die chinesische Sprache und Schrift völlig unabhängig voneinander sind? Oder gibt es da gemeinsame Wurzeln? Und die Zweite bezieht sich auf eine Foto im letzten Bericht, auf dem Betten unter einem Dach zu sehen sind. Sieht aus wie Massagebetten. Was ist deren Zweck?
AntwortenLöschenZwei sehr gute Fragen, die ich dir gerne so gut mir möglich beantworten werde:
Löschen1) Chinesisch und Vietnamesisch sind nicht miteinander verwandt. Das Chinesische, respektive die chinesischen Sprachen, gehören zur sinotibetischen Sprachfamilie. Es sind Sprachen, die geografisch auf China, Myanmar, Tibet sowie in Teilen von Indien, Nepal und Bhutan gesprochen werden. Das Vietnamesische hingegen gehört zur austroasiatischen Sprachfamilie. Vietnamesisch ist die bekannteste Sprache dieser Familie, deren Sprachen sich auf den südostasiatischen Raum verteilen. Das Vietnamesische geht auf die Sprache Mon-khmer zurück, erlebte aber einen erheblichen chinesischen Einfluss aufgrund der sehr verflochtenen Geschichte. Zwischen 30-70% der gebrauchten Wörter im Vietnamesischen - je nachdem, ob man sich im alltäglichen oder im literarischen Sprachgebrauch befindet, stammen aus dem Chinesischen. Auch wurde Vietnamesisch früher mit chinesischen Schriftzeichen geschrieben. Während der französischen Kolonialisierung änderten die Franzosen dies und führten ein angepasstes lateinisches Alphabet zur Verschriftlichung des Vietnamesischen ein. Dies wird noch heute gebraucht. Zum Beispiel: cà phê = Kaffee.
2) Hier hast du sehr gut beobachtet. Ich hab in meinem Text tatsächlich nicht erklärt, was diese Häuschen sein sollen: Das waren früher die Orte, in denen die Studenten des Literaturtempels ihre Prüfungen schrieben.
zu 1) Spannend! Wenn 30-70% der gebrauchten Wörter aus dem chinesischen ins vietnamesische übernommen wurden, sollten die beiden Völker sich mündlich grob verstehen - korrekt?
Löschenzu 2) Danke :-)